Das Verfahren zur Neugründung einer Kapitalgesellschaft (GmbH/UG, AG, SE, KGaA) wird als lästig empfunden: Es fallen Notar- und Gerichtskosten an, das Stamm- bzw. Grundkapital muss aufgebracht werden und die Eintragung in das Handelsregister kann sich hinziehen. Bei Aktiengesellschaften kommen weitere Hürden hinzu, insbesondere eine Gründungsprüfung. Naheliegend ist daher der Gedanke, für ein neues Vorhaben eine nicht mehr verwendete Altgesellschaft zu reaktivieren. Das Problem: Der Bundesgerichtshof sieht dies als wirtschaftliche (faktische) Neugründung an, so dass das Gründungsrecht erneut zur Anwendung kommt – inklusive der Pflicht der Gesellschafter zur Leistung der Einlagen.
Der Legal Fail Friday ist eine Serie kurz gehaltener Beiträge, in der immer wieder auftretende „Missgeschicke“ des wirtschaftsrechtlichen Alltags beleuchtet werden.
Wann liegt eine wirtschaftliche Neugründung vor?
Gibt eine Kapitalgesellschaft ihr Unternehmen auf, besteht sie als juristische Person fort, wird jedoch zur „inhaltslosen Hülle“ (auch Mantelgesellschaft genannt). Typischerweise verfügt die Gesellschaft in diesem Stadium über kein Vermögen mehr oder hat gar ausschließlich unerfüllte Verbindlichkeiten.
Im Rahmen der Wiederbelebung der Gesellschaft erhält diese häufig einen neuen Namen, neue Geschäftsführer und Gesellschafter sowie einen neuen Unternehmensgegenstand. Für Dritte entsteht der Eindruck, man habe es mit einer neuen Gesellschaft zu tun, die zumindest anfänglich für den nun verfolgten Unternehmenszweck mit Stamm-/Grundkapital ausgestattet wurde. Tatsächlich ist das Stamm-/Grundkapital jedoch längst für das frühere, zwischenzeitlich aufgegebene Unternehmen verbraucht worden. Dies will die Rechtsprechung verhindern.
Die vorgenannten Änderungen an Satzung, Geschäftsführung und Gesellschaftern sind allerdings nicht zwingende Voraussetzung für die Annahme einer wirtschaftlichen Neugründung (diese Veränderungen sind lediglich starke Indizien, die Notar und Registergericht zu Nachfragen veranlassen werden). Auch muss die Gesellschaft nicht tatsächlich vermögenslos sein. Entscheidend ist allein, dass das ursprüngliche Unternehmen aufgegeben wurde, bevor das neue Unternehmen gestartet wird. Der BGH formuliert dies wie folgt:
Für die Abgrenzung der Mantelverwendung von der Umorganisation oder Sanierung einer (noch) aktiven GmbH ist entscheidend, ob die Gesellschaft noch ein aktives Unternehmen betrieb, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpft oder ob es sich tatsächlich um einen leer gewordenen Gesellschaftsmantel ohne Geschäftsbetrieb handelt, der seinen – neuen oder alten – Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der rechtlichen Neugründung einer die beschränkte Haftung gewährleistenden Kapitalgesellschaft eine gänzlich neue Geschäftstätigkeit – gegebenenfalls wieder – aufzunehmen.
Auch ohne tiefgreifende Veränderungen bei der Gesellschaft ist daher Vorsicht geboten: Gibt die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb vorübergehend auf, kann bei ausreichender Dauer dieser „Pause“ (Faustregel: 6-8 Monate) ebenfalls eine ausreichende Zäsur vorliegen, um von einer wirtschaftlichen Neugründung ausgehen zu müssen – selbst wenn das frühere Unternehmen mit denselben Akteuren neu aufgenommen wird.
Konsequenzen
Liegt eine wirtschaftliche Neugründung vor, muss dies dem Registergericht offengelegt werden. Die Geschäftsführer müssen dabei – wie bei einer Neugründung – eine Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 GmbHG (bzw. § 37 Abs. 1 S. 1 AktG) abgeben, dass die Gesellschaft über Vermögen in Höhe der Stamm-/Grundkapitalziffer verfügt.
Die Gesellschafter müssen demzufolge eine bestehende Unterkapitalisierung der Gesellschaft zum Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung ausgleichen. Dies umfasst den Ausgleich jeglicher Schulden und eine Vermögenszuführung bis zur Höhe des gezeichneten Kapitals. Tun sie dies nicht, besteht eine fortwährende Unterbilanzhaftung auf diesen Zeitpunkt, selbst wenn die Gesellschaft später auf sonstigen Wegen (z.B. durch Umsätze) entsprechendes Vermögen ansammelt.
In diesem Zusammenhang kommt auch eine Mithaftung der Geschäftsführer in Betracht, insbesondere wenn die Gesellschafter der Aufnahme des Geschäftsbetriebs nicht zugestimmt haben.
Die Haftung besteht gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung). Spätestens im Falle eines Insolvenzverfahrens werden die Gesellschafter und Geschäftsführer daher vom Insolvenzverwalter zur Kasse gebeten. War die Gesellschaft zum Zeitpunkt der „Implantierung“ des neuen Unternehmens verschuldet, können diese Haftungsansprüche entsprechend hoch ausfallen.
Nun mag sich manch ein Pragmatiker fragen: Warum die wirtschaftliche Neugründung offenlegen und die Einlagen neu einzahlen, wenn im schlimmsten Fall dieselbe Konsequenz Jahre später droht und es eine Chance gibt, dass die wirtschaftliche Neugründung unentdeckt bleibt?
Hierfür gibt es mehrere Gründe.
Sind die Geschäftsführer nicht zugleich auch die Gesellschafter, wird es kaum im Interesse dieser Fremd-Geschäftsführer sein, sich zusammen mit den Gesellschaftern in die Haftung für nicht erbrachte Einlagen zu begeben.
Ferner nimmt die Rechtsprechung eine Beweislastumkehr an, wenn die wirtschaftliche Neugründung offengelegt wurde. Es liegt an der Gesellschaft (ggf. also am Insolvenzverwalter), die Unterkapitalisierung im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung zu beweisen, wenn sie die Unterbilanzhaftung geltend machen will. Ohne die Offenlegung müssen hingegen die Gesellschafter beweisen, dass keine Unterkapitalisierung vorlag, was ohne Aufstellung und Aufbewahrung einer Zwischenbilanz auf den Zeitpunkt der Neugründung schwer möglich sein wird. Das Haftungsrisiko wird dadurch der Höhe nach schwer abschätzbar.
Und schließlich wird jeder gut beratene spätere Neugesellschafter oder Unternehmenserwerber im Rahmen einer Prüfung der Gesellschaftsverhältnisse auf das Thema der wirtschaftlichen Neugründung stoßen. Tritt dabei zutage, dass diese nicht ordnungsgemäß gehandhabt wurde, wirft dies ein schlechtes Licht auf die Altgesellschafter und kann ggf. die gesamte Transaktion scheitern lassen, wenn die resultierenden Haftungsrisiken für den in diese Risiken eintretende Erwerber zu hoch erscheinen.
Sie haben Fragen im Zusammenhang mit der gesellschaftsrechtlichen Haftung? Im Vorfeld einer Unternehmenstransaktion sollen die gesellschaftlichen Verhältnisse einer Gesellschaft geprüft werden? Schreiben Sie mir eine Nachricht.